Montag, 30. Mai 2016

Bellevue

Ein Haus auf Wanderschaft

Häuser gehören normalerweise zur Spezies der "Immobilien". Sie laufen nicht weg oder suchen sich einen anderen Platz

Normalerweise. 
Von Freilichtmuseen ist bekannt, dass man alte Bauernhäuser zerlegt und an einem gemeinsamen Ort sammelt. 

Das gab es aber auch schon im 19. Jahrhundert. Das Königliche Landschloß Bellevue begann auf der Seite des Rosensteins (damals noch Kahlenstein) und steht heute gegenüber dem Hochbunker in der Badstraße 42.
Badstraße 42

Beginn als Fabrik

Angefangen hatte das Haus als Fabrikgebäude.
Um 1800 hat ein gewisser Wilhelm Zais hier ein Gebäude mit verschiedenen Nebengebäuden errichten lassen.
1804 betrieb
er darin die erste Türkischrotfärberei Württembergs.
In
einem Aquarell aus dem Jahre 1820 stellt Julius Woelffel den Neckar im Bereich der späteren Wilhelma dar (unten). Der Ausschnitt (rechts) zeigt das Haus an seinem ursprünglichen Standort. Es stand etwa dort, wo sich heute das Wilhelma-Parkhaus befindet. 
Bellvue. Ausschnitt Ludwigsburg Museum
Bellevue Ludwigsburg Museum
Im Vordergrund des Aquarells befindet sich ein Fährboot. Es fährt etwa im Bereich des heutigen Holzstegs.
Ludwigsburg Museum

Königliches Landhaus

1806 erwarb König Friedrich den Komplex. Hinter dem Gebäude legte er eine Gartenanlage an, die sich den Hang hinaufzog. Ein Pavillon am oberen Ende gewährte einen hübschen Überblick.

Die Abbildung, eine aquarellierte Federzeichnung, zeigt den Plan der Anlage im Jahre 1810.

Der König hatte also viel Energie in die Gestaltung des Anwesens gelegt.
1816 schenkte König Friedrich das `Landgut´, wie es damals genannt wurde, an seine Schwiegertochter Katharina zur Hochzeit.
Kurz darauf starb er übrigens.



Katharina
Königin Katharina liebte das Haus. Sie machte sich aus Prunkt wenig, sie bevorzugte das einfache Leben. 
Ihr Biograph Jakob Merkel schrieb:
"Große Freude bereitete ihr das oberhalb der Stadt Cannstatt am Neckar, nahe der späteren Wilhelma, gelegene Landhaus Bellevue, das ihr der königliche Schwiegervater zu ihrem 28. Geburtstag am 22. Mai 1816 zusammen mit einem hübschen Park schenkte. Das Landhaus Bellevue wurde ihr Lieblingsaufenthalt, dort verbrachte sie mit ihrem von Amtsgeschäften noch wenig belasteten Mann unbeschwerte Wochen."


Angenehm war der Aufenthalt in dem Landhaus allerdings nicht immer. Als vom 27. auf den 28. Mai 1817 Cannstatt von einem der größten Hochwasser heimgesucht wurde, befand sich die Königsfamilie im Bellevue. Siehe vorne links. Sie mussten das Gebäude durch ein Fenster in ein Boot steigen.
Kolorierte Radierung veröffentlicht von G Ebner


Katharina konnte das Leben im Bellevue nicht lange genießen. Anfang Januar 1819 starb sie an Lüngenentzündung. Sie hatte ihren Gatten im Scharnheuer Schloß in flagranti ertrappt und war dann ungeschutzt im offenen Wagen durch den Regen nach Hause gefahren.

König Wilhelm verlor bald die Freude an dem Haus. Ende Januar 1819 ließ er zwar noch per Dekret die Bezeichnung des Gebäudes in "K. Landschloß" ändern.
Bald begann er mit den Panungen für ein Schloß auf dm Berg nebenan, dem Kahlenberg.

Bei Einrichtung der Wilhelma verkaufte er das Haus an den Oberamtsarzt Dr. Abele, der es nach Cannstatt versetzen ließ. 

In der Badstraße 42 steht es noch heute.
D
as Gelände wurde zu den königlichen Anlagen geschlagen.

In der Stuttgarter Denkmalschutzliste wird das Gebäude geführt als 

"Wohnhaus und Stadtmauer (einschließlich Freiplastik mit Soldat und Pferd)".
Als Baujahr wird 1847, als Baustil Kassizismus angegeben. Der Architekt gilt als unbekannt.

Der aktuelle Zustand des Gebäudes ist schon ein bißchen jämmerlich.

Bildquellen:
- Badstraße 42. Eigenes Foto
- Ausschnitt aus Julius Woelffel, Neckarpartie, Aquarell. Ludwigsburg Museum
- Julius Woelffel, Neckarpartie, Aquarell. Ludwigsburg Museum 
- Überschwemmung 1817, Kolorierte Radierung veröffentlicht von G Ebner 
- Gartenanlage hinter Bellvue.Ludwigsburg Museum

- Katharina. Gemälde von Stirnbrandt 1819
   https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:K%C3%B6nigin_Katharina_W%C3%BCrtt.jpg

    

Quelle
Jürgen Hagel: Cannstatt und seine Geschichte. Tübingen 2002, S. 55f
Jakob Merkle:
Die Großfürstin Katharina Paulowna, Herzogin von Oldenburg, nachmalige  Königin von Württemberg in den Kriegsjahren 1812 - 1815. Stuttgart 1898, S. 67f

http://www.stuttgart-stadtgeschichte.net/pdf/Liste_Denkmaeler_Stuttgart.pdf (24.5.2016), S. 137

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